Abschied von einem großen Schulleiter

Die würdigenden Reden unseres geschätzten Kollegen Reinhard Titsch sind Legende an unserer Schule. Zum Anlass des Abschieds von unserem langjährigen Schulleiter Harald Stripp am Ende des Halbjahrs hielt Reinhard Titsch am 31. Januar 2025 folgende Rede, die wir im Folgenden ungekürzt veröffentlichen:

„Ende des Jahres sind mir Zweifel gekommen, ob es heute wirklich zu dieser Verabschiedung kommt.

Wir hatten zwei Gesamtkonferenzen über die Weiterentwicklung von Konzepten für den Tag der offenen Tür und über den sinnvollen Einsatz von K.I. im Unterricht und bei Prüfungsformaten.

In beiden Konferenzen haben wir einen gelassenen, bescheidenen neugierigen, engagierten, kenntnisreichen, entscheidungsfreudigen, wachen, witzigen und gut vorbereiteten Schulleiter erlebt, der sowohl in seiner Rolle als Moderator sowie als Teilnehmer einer Arbeitsgruppe Format gezeigt hat, wie schon seit Jahren.

In Kenntnis des bevorstehenden Abschiedes entstand bei mir der Eindruck einer Bewerbung für eine Verlängerung seiner Dienstzeit, sagen wir mal um drei bis fünf Jahre.

Jetzt gibt es heute den Abschied und eine Verlängerung bis zum Sommerfest – diesmal im Kerngeschäft Unterricht.

Nach gefühlt einem Dutzend Jahren Mathematikunterrichtabstinenz führen Sie einen Grundkurs 13 ins Mathematik-Abitur, das erfordert Mut und verdient Respekt.

Ein Satz an die Freunde von Omar Marmouch und Eintracht Frankfurt. Er hat sich in seinen letzten beiden Spielen motivationsmäßig an Herrn Stripp orientiert, zum Schluss noch einmal das Beste, und dafür Anerkennung und Begeisterung erhalten.

Herr Stripp ist der dritte Schulleiter der Max-Beckmann-Schule. Drei Schulleiter in über 50 Jahren sind bemerkenswert, auch wegen der Qualität ihrer Vorgänger Herr Scholl und Herr Ergh, die ihre Bewerbung nach Aktenlage abgegeben haben und dann vor Ort ins kalte Wasser Gymnasiale Oberstufe bzw. MBS gesprungen sind – Herr Scholl in eiskaltes.

Herr Scholl ist im letzten Jahr im Alter von 88 Jahren gestorben. Wir haben auf einer Gedenkfeier in der Aula an ihn und an die ersten dieser Schule erinnert und gedacht.

Herr Ergh wurde 2003 hier in der Aula  außerordentlich freundlich von der Schulgemeinde begrüßt.

Herr Stripp hat sich der MBS anders genähert. Er wurde am 27. September 2004 stellvertretender Schulleiter und hat sich viel Zeit genommen für den Blick auf Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, natürlich auch auf die Mitarbeiterinnen im Sekretariat und unsere Zuständigen für Schulhaus und Cafeteria.

Er hat neben seiner Stellvertreter-Arbeit auch genau hingeschaut, was ein Schulleiter so alles tut und wie er es tut, u.a. ein damals vielköpfiges Führungsteam in produktiver Balance zu halten und das nicht nur gelegentlich, sondern regelmäßig.

Sein Eindruck von der MBS muss so positiv gewesen sein, dass er am 31. August 2012, wieder in der Aula, wieder von der Schulgemeinde als dritter Schulleiter begrüßt wurde.

Ihr Verdienst ist es, bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unabhängig von der Besoldungsgruppe die Stärken erkannt und ihnen den Raum gegeben haben, sie zu entfalten.

Daraus erwuchsen ein mehr als handlungsfähiges Schulleitungsteam und ein Kollegium, das mit vielen langfristigen und kurzfristigen Aktionen und Aktivitäten unsere Schule zu einer beachteten und anerkannten Institution innerhalb und außer halb von Bockenheim und Frankfurt gemacht haben und dabei nie das Kerngeschäft vergisst.

Attraktivitäten der Schulleitertätigkeit sind die Gesamtverantwortung, die Gestaltungsmöglichkeit und der Zentralschlüssel, der Ihnen ruhiges Arbeiten auch am Wochenende und in den Ferien ermöglicht.

Der Arbeitsumfang Ihrer Tätigkeit hat sich in den letzten Jahren eher vergrößert. Dazugekommen sind viele zeitraubende Kleinigkeiten, darunter wenig Beglückendes.

Die eigene Arbeitszeit zu minimieren war nie ein zentrales Anliegen von Ihnen. Ein Beispiel: Eine wichtige Aufgabe des Schulleiters Stripp war und ist der Kontakt und das Gespräch mit Schülern und Schülerinnen, Lehrern und Lehrerinnen und Eltern.

Das Ende dieser Gespräche bestimmten sehr oft Ihre Gesprächsgegenüber – das führte zu guten Ergebnissen und Zufriedenheit der Beteiligten, ging aber auf Kosten Ihrer frei verfügbaren Zeit.

Die fehlte dann bei Sport, Kultur und Müßiggang.

Zugegeben: Herr Stripp besitzt ein Fahrrad und weiß es zu bedienen. Er ist in der Lage, eine Strecke von bis zu 18 km zu Fuß an einem Tag zu bewältigen. Hallenschwimmbäder sind oder waren wohnungsnah. Natürlich kann er schwimmen. Ich glaube, in zwei Lagen, weiß aber nicht, in welchen. Das Problem seiner sportlichen und sonstigen angenehmen Aktivitäten ist die Zeit.

Seine Herkunft hat ihm geholfen, den zeitlichen Anforderungen seines Berufs gerecht zu werden. Wie schon bei seinen 60. Geburtstag erwähnt, stammt er aus Alsfeld im Nordteil des Vogelsbergkreises. Mit 16.000 Einwohnern gehört Alsfeld zu den Metropolen dieser Region. Die Lage und die landwirtschaftlichen Wurzeln dieser Region führen zu einer anderen Mentalität und einem anderen Lebensgefühl der Einwohner und Einwohnerinnen.

Wenn um 3.30 in Alsfeld die ersten Wecker klingeln, wird in den Frankfurter Clubs und Bars noch getrunken und getanzt.

Herr Stripp hat seine Alsfelder Mentalität mit an die MBS gebracht, das bedeutet Asketentum mit einem kleinen Hang zum Masochismus. Sie erlaubt ihm in Extremsituationen einen 18-Stunden-Arbeitstag mit höchstens 7 Seiten Lektüre vor dem Einschlafen, aber auch die gleichzeitige Leitung von zwei Frankfurter Oberstufengymnasien mit zwei zufriedenen Kollegien.

Herr Bohnenberger hat ihn vor einigen Jahren dankenswerter Weise erlöst.

Trotzdem feiert Herr Stripp gern. Gefeiert wird an der MBS: Kollegiumsausflug, Sommerfest, Weihnachtsfest, Abiball und die Verabschiedung der Abiturienten sind für Herrn Stripp  unverzichtbar.

Bei der Verabschiedung der Abiturienten führt Stripp jedes Jahr die Anwesenden auf einer Reise zu Meilensteinen der Geistesgeschichte der letzten Jahrhunderte und verknüpft diese mit der Lebenswirklichkeit und den Zukunftsaussichten der Schülerinnen und Schüler.

Im Angesicht unseres gelegentlich turbulenten Schulalltag sind die Feiern streng ritualisiert.

Der Ausflug z.B. beginnt mit einer öffentlicher Anfahrt, gefolgt von einer Begegnung mit Kultur, Politik oder Naturwissenschaft, einer Fußwanderung mittleren Schwierigkeitsgrads und einer abschließenden warmen Mahlzeit.

Gelegentlich gibt es dabei amüsante oder dramatische Überraschungen.

Ein kurzer Einschub Literatur: Nach seiner Ernennung zum stellvertretenden Schulleiter wurde das Stück Faust1 von Goethe in den Kanon der Pflichttexte für die Abiturienten im Abiturfach Deutsch aufgenommen. Mit seinem Abschied als Schulleiter verabschiedet sich auch der verbindliche Faust aus dem Prüfungskanon.

Hier noch einmal Erinnerungen an Doktor Faust: Im Theater beginnt es oft mit dem „Vorspiel auf das Theater“ im Text mit dem Gedicht „Zueignung“ und dem ersten Satz „Ihr naht euch wieder schwankende Gestalten“. Am Ende des Kollegiumsausflugs nähern sich keine schwankenden Gestalten, sie entfernen sich, übrig bleibt der Schulleiter, unter Umständen mit einem Mitglied des Personalrats.

Es erscheint der Wirt mit der Bemerkung, „Hier sind noch 240 € offen; die werden bar bezahlt.“

2022 stand mehr auf dem Spiel.

Unser Kollegiumsausflug endete an einem Freitagabend; die warme Mahlzeit wurde bezahlt. Am Montag war die Abfahrt von Klasse 12 und 13 zur Studienfahrt geplant. Bereits am Samstag waren einige der am Freitag anwesenden Kolleginnen und Kollegen Corona positiv, darunter auch für Fahrten Verantwortliche oder ihre Begleiter. Ein Wochenende mit Stresspotential folgte. Am Ende war die Hälfte der am Freitagsabendessen Anwesenden infiziert.

In seinem bekannten Anfangsmonolog klagt Faust über seine Fächerwahl und seinen Studienerfolg. Ich zitiere:

„Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh‘ ich nun, ich armer Tor,
Und bin so klug als wie zuvor!“

Herr Stripp hat im letzten Jahrzehnt solide Kenntnisse in Juristerei und Medizin, teilweise der Not geschuldet, erworben.

Auf die musste er in der Fahrtenwoche nicht zurückgreifen, aber sie gaben ihm die Gelassenheit und Sicherheit, in dieser Woche den Überblick zu behalten. Das Kollegium, ob in der Schule oder in der weiten Welt, tat das Äußerste zum Gelingen der Fahrten. Alle sind zurückgekehrt in die für Schülerschaft und Kollegium verdienten Herbstferien. Herr Stripp hat in dieser Woche einige 18-Stunden-Tage in seinem Zimmer verbracht.

Herr Stripp, Frau Eller und ich haben uns gelegentlich im Flur getroffen, über unsere betagten Mütter und ihre Befindlichkeit mit ihnen ausgetauscht. Wir sprachen über Betreuung, Essen, Kosten, Lebensfreude, Dankbarkeit und Ärger haben dabei eine Menge an Übereinstimmungen festgestellt.

Vor allen Dingen wussten wir nach einem solchen Gespräch, dass es ein Leben außerhalb von schulischem Freud und Leid gibt. Das steht Ihnen jetzt auch bevor. Ich bin sicher, dass Sie das genauso souverän bestreiten werden wie hier Ihre Arbeit. Da brauchen Sie keine guten Ratschläge.

Ich verneige mich vor einem kolossalem Schulleiter und einem guten Menschen.“