Frankfurt liest ein Buch in der MBS: „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers

Auf der Bühne stehen Tische und Stühle in Reih und Glied. Jeweils rechts und links sind symmetrisch angeordnet jeweils ein Tisch mit Stuhl und Leselampe. Die Schauspieler bewegen sich in einzelnen Szenen zwischen den Stühlen und Tischen umher. Alles sieht gleich aus – überall könnte Gefahr lauern, aber auch Schutz und Hilfe. Derjenige, der hier zwischen den Stühlen herumirrt, ist Georg Heisler. Er ist auf der Flucht aus dem Konzentrationslager Westhofen. Er ist einer von sieben Flüchtlingen, für die nun im Konzentrationslager sieben Folterkreuze aufgestellt werden, die für die Geflüchteten bei ihrer Ergreifung bestimmt sind. Doch während die anderen sechs nach und nach ihren Peinigern wieder ins Netz gehen, bleibt Georg Heislers Kreuz leer. Auf seiner Flucht irrt er durch Rheinhessen und Hessen und gelangt schließlich auch nach Frankfurt und eben auch in den Stadtteil Bockenheim.

Die Max-Beckmann-Schule hat den Bezug zu ihrer eigenen Lokalgeschichte zum Anlass genommen, erstmals an der Kulturveranstaltung „Frankfurt liest ein Buch“ teilzunehmen. Der Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers spielt nicht nur in einer Episode in Bockenheim, auch inhaltlich ist die Fluchtgeschichte von Georg Heisler deshalb so interessant für die Max-Beckmann-Schule, da, so Schulleiter Harald Stripp in seiner Einleitung, der Roman als „Plädoyer für Zivilcourage“ zu lesen sei und somit grundlegende Werte der Schule vertrete. Charlotte Kitzinger, Referentin der „Arbeitsstelle Holocaustliteratur“ in Gießen, verweist in ihrer historisch-literarischen Einleitung zum Roman auf dessen großartige Erzählkunst, Vielschichtigkeit und Multiperspektivität. Besonders die dem Roman zugrunde liegende Tatsache, wie schnell sich Gesellschaften hin zu totalitären Systemen verwandeln können, gebe diesem, so Kitzinger, angesichts der populistischen Bewegungen in Europa eine aktuelle Dimension.
Das Herzstück der Veranstaltung ist dann aber die szenische Lesung, die unter der Regie von Steffen Schwarz und den Schauspieler*innen des DS-Kurses der Jahrgangsstufe 12 eindrucksvoll umgesetzt wird. Slimane Haloui glänzt dabei als Georg Heisler, der oftmals verloren zwischen den Stühlen und Tischen auf der Bühne nach Hilfe, Unterschlupf oder einfach nur nach ein wenig Mitmenschlichkeit sucht. Besonders eindringlich wird das Stück dadurch, dass die Texte von Anna Seghers von Schüler*innen gelesen werden, die oft einen Migrationshintergrund haben, der sich auch in Nuancen der Sprachlichkeit zeigt. Dadurch werden die Texte von Anna Seghers mit den Stimmen der Jugendlichen der heutigen Zeit gebrochen und geben diesen vor dem Hintergrund aktueller Flüchtlingserfahrungen eine sehr große Authentizität. Am Ende, so scheint es, ist Georg Heisler nicht nur ein Flüchtender vor den Schergen des NS-Staates, sondern er ist ein universell Flüchtender auf der Suche nach Rettung und individueller Behauptung.
Ein ganz starker Abend an der MBS, der ein ebenso begeistertes wie nachdenkliches Publikum zurück lässt.

Mitja Lüderwaldt